Du überlegst, Teil einer Encountergruppe zu werden? Dieser Text soll dir ein Gefühl dafür geben, wie so ein gemeinsamer Weg aussieht.
Eine DNA-Encountergruppe zu gründen, ist wie ein großes soziales Abenteuer. Alles ist freiwillig und baut auf Vertrauen auf.
Die erste Zeit nennen wir die "Kennenlern-Phase". Diese Phase ist das Fundament für alles, was danach kommt, für die ganze Art, wie die Gruppe später zusammen ist.
Phase 1: Das Kennenlernen
Die Gründung einer Gruppe, die auf einer "DNA" basiert, ist ein gut strukturierter Prozess. Diese Phase beginnt damit, dass die Gruppen-DNA definiert wird. Dann folgt der Aufbau der Mitglieder und sie endet mit dem feierlichen Akt der Gruppengründung, bei dem die zukünftigen Mitglieder sagen: "Ja, zu dieser DNA und Mitgliederkonstellation stehen wir."
Die "DNA" – Unser Kompass
Am Anfang stehen die Gründerin und die "Encounter-DNA". Dieses Grundlagendokument wird "Copy-Paste" von einer bestehenden, bewährten Vorlage übernommen und vom Gründer leicht angepasst.
Die Anforderung an diese DNA ist genau wie bei biologischen Lebewesen enorm: Sie muss den gesamten Lebenszyklus der zukünftigen Gruppe vorwegnehmen und fast jede erdenkliche Situation und alle Eventualitäten im Vorfeld berücksichtigen können. Sie stellt geballte Erfahrung dar, die sich eine Gruppe zu Nutze machen kann, um wirklich lebendig zu werden.
Die DNA muss kompakt sein
Obwohl sie all das regeln muss, herrscht eine "Anforderung der extremen Knappheit". Jedes einzelne "Meme" – also jede Regel oder Idee – muss präzise durchdacht und auf alle anderen Regeln abgestimmt sein. Es muss ein in sich geschlossenes, funktionierendes System entstehen. Alles Unnötige wird konsequent vermieden, damit sie ohne großen Aufwand verstehbar und anwendbar wird. Es geht darum, dass die ganze Gruppe sich von Herzen mit ihr identifizieren kann.
Dieses "Ja, das bin ich, das sind wir"-Gefühl ist eine entscheidende Energiequelle für den Gruppenprozess. Die Gruppe muss die gesamte DNA schnell erfassen können. Und sie muss in der Lage sein, spätere Anpassungen und Entwicklungen der DNA mitzuverfolgen und zu gestalten. Wenn die DNA zu kompliziert wird, kann die Gruppe sie nicht mehr anwenden, die Identifikation der Mitglieder bricht zusammen und die Gruppe stirbt.
Es ist wie mit einer biologischen DNA: Sie muss knapp und prägnant sein, sich auf das Wesentliche beschränken, aber trotzdem alles Nötige erschaffen können, um einen lebendigen Organismus – in unserem Fall den "Organismus Gruppenprozess" – hervorzubringen.
Der Ablauf der Kennenlern-Phase
Der Gründer (oder das Gründerteam) startet den Gruppenprozess. Er wählt eine DNA, passt diese an und beginnt damit, mögliche Mitglieder zur ersten Encounter-Session einzuladen.
Von Beginn an herrscht volle Transparenz. Der Gründer legt die DNA offen. Diese enthält nicht nur Regeln, sondern auch die gesamte Vision: Was für eine Art von Gruppe soll hier entstehen? Was ist unsere Intention? Für wen ist das ganze gedacht? All das steht schon bevor der Gruppenprozess startet. Ähnlich der Gründung eines Fußballvereins, bei der die Spielregeln erst kopiert und dann vorab den potentiellen Mitgliedern kommuniziert werden.
In dieser Phase hat der Gründer zentrale Verantwortung:
Einladehoheit: Der Gründer entscheidet alleine, wer eingeladen wird. Er oder Sie kann natürlich Vorschläge und Feedback einholen, aber die finale Entscheidung und die aktive Einladestategie bleiben bei ihm/ihr.
Hosting-Verantwortung: Der Gründer legt fest, wann und wo die Treffen stattfinden. Oft stellt er eigene Räume (z.B. sein Wohnzimmer) zur Verfügung.
Sicherstellung des Erlebniswerts: Oft übernimmt der Gründer am Anfang auch Aufgaben wie Kochen, Moderation oder andere wichtige Aufgaben. Das Ziel ist: Der "Erlebniswert" der Sessions muss so hoch wie möglich sein, damit die Gründung hohe Erfolgschancen hat.
Verantwortung nach und nach abgeben: Parallel muss der Gründer diese Aufgaben Session für Session in die entstehende Gruppe "hineinstreuen" und damit abgeben. Das dient seiner eigenen Entlastung (damit er sich auf wichtige Entscheidungen konzentrieren kann) und stellt sicher, dass er auch in Krisen handlungsfähig bleibt. Vor allem dient dies aber der Lebendigkeit des Gesamtprozesses. Denn erst wenn alle Mitglieder ihr volles Mitgestaltungspotential einbringen, hat die Gruppe ihre volle Vitalität und Potential erreicht. Bleibt zu viel Verantwortung beim Gründer auf Dauer hängen, hebt der Gruppenprozess wahrscheinlich nicht ab und kollabiert irgendwann.
Warum zunächst nur eine Eventreihe, warum nicht gleich eine Gruppe gründen?
Ein entscheidendes Merkmal dieser Phase ist, dass sie aus einzelnen Treffen besteht und nicht aus einer sich konkret aufbauenden Gruppe (mit einer permanenten Chat-Gruppe, in der man, wenn man einmal drin ist, drin bleibt). Dieser sich Schritt für Schritt vortastende Charakter ist wichtig für den Erfolg der ersten Phase.
Der Hauptgrund dafür ist der Aufbau einer stimmigen Mitglieder Konstellation, bei der wirklich alle gut zusammen passen.
Stell dir vor, einmal eingeladene Personen würden sofort als permanente Mitglieder gelten und nach einer Session sagen mehrere, dass sie mit dieser Person nicht klar kommen. Dann müsste der Gründer diese Person aktiv wieder "ausladen". Das wäre für diese Person schmerzhaft und fühlt sich deshalb auch für alle schlecht an und destabilisiert den Gründungsprozess.
Eine "Event-Reihe" dreht dieses Prinzip um: Statt aktiv "auszuladen", besteht der Prozess daraus, aktiv und immer wieder von Neuem einzuladen.
Es wird von Anfang an klargestellt: Eine Einladung zu einem Treffen ist keine Garantie für eine Einladung zum nächsten Treffen, oder gar eine Garantie, bei der Gründung dabei zu sein.
Wenn der Gründer feststellt, dass die Konstellation mit einer bestimmten Person "nicht stimmig" ist – aus welchem Grund auch immer –, wird diese Person für die nächste Session einfach nicht mehr eingeladen. Dies ermöglicht ein behutsames, schrittweises und ganzheitliches Zusammenfinden der Gruppe.
Die DNA als lebendiges Dokument
Gleichzeitig ist diese Phase kein "Top-Down"-Prozess bei dem der Gründer alle Fäden in der Hand behält. Der Gründer macht ein offenes Angebot an die Teilnehmer, ihm Feedback zu den erlebten Mitgliederkonstellation zu geben und sich kritisch mit der DNA zu beschäftigen. Je näher die Gruppe an die echte Gründung (Phase 2) rückt, desto wichtiger und intensiver wird dieser Austausch.
Mit Werkzeugen wie Google Docs können die Teilnehmer Änderungsvorschläge als Kommentare in die DNA einbringen. Das hat mehrere Zwecke:
Der Gründer sammelt Widerstände gegen bestimmte Regeln frühzeitig ein.
Er bekommt die Chance, gute Ideen und Innovationen aus der Gruppe aufzunehmen.
Vor allem aber dient es dazu, ganzheitlich eine inhaltliche und personelle Stimmigkeit für einen vitalen Gruppenprozess herzustellen.
Der Gründer sichtet, bewertet und arbeitet diese DNA Vorschläge ein oder verwirft sie. Das Ziel ist, die DNA "abzuschleifen" und zu verfeinern. Es kann sein, dass die DNA erheblich angepasst wird, oder dass sie, wenn sie breite Zustimmung findet, fast unverändert bleibt. Spätere Anpassung der DNA ist bei Gruppenkonsens jederzeit möglich und oft nötig.
Der Übergang: Die Gruppengründung
Die Kennenlern-Phase endet mit dem formalen Akt der Gruppengründung. An diesem Punkt liegt eine finale, konkrete Version der DNA vor, in die alle angenommenen Vorschläge eingearbeitet wurden.
Der Moment der Gründung ist der Punkt, an dem die zur Gruppengründung eingeladenen Teilnehmer ausdrücklich erklären: "Ja, wir sind mit diesem finalen 'Gesamtpaket' der DNA zufrieden und haben die Absicht, sie ganzheitlich und gemeinsam so umzusetzen." Das heißt, nicht alle sagen zu jedem Punkt ja, sondern alle sagen zu dem Gesamtpaket ja. Ähnlich wie man bei einem Heiratsantrag auch ja sagt und nicht ja, aber deine Nase gefällt mir nicht. Die Nase ist Teil des Gesamtpaketes und wird ganzheitlich angenommen.
Mit dieser kollektiven Zustimmung ist die erste Phase abgeschlossen. Die Gruppe hat sich gegründet. Diese Phase kann z.B. sechs Monate dauern.
Phase 2: Die Gruppenphase
Von der Gründung zur erfolgreichen Selbstregulation
Die zweite Phase, die "Gruppenphase", beginnt gleich nach der Gründung. Der Gründer übernimmt dabei am Anfang die zentrale Rolle des Organisators.
Diese Rolle ist mit einem klaren Auftrag verbunden: Er muss den Gruppenprozess stabilisieren und die Gruppe Schritt für Schritt in die Selbstverantwortung führen. Die Ziele dabei sind: eine hohe Lebendigkeit (Vitalität), ein hoher Erlebniswert für alle, ein hoher Entwicklungswert und der kontinuierliche Aufbau von emotionalen Verbindungen zwischen den Mitgliedern.
Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit
Mit dem Start der Gruppenphase beginnt eine feste Routine, ein Ritual, Encounter-Sessions die regelmäßig z.B. alle zwei Wochen an einem Abend unter der Woche stattfinden und alle sechs Monate von einem Encounterhüttenwochenende unterstützt werden.
Die Herausforderung für alle Mitglieder ist es nun, diesen Gruppenprozess gleichzeitig zu beleben und zu stabilisieren. Dazu ist regelmäßige Teilnahme der wichtigste Aspekt. Eine stabile Teilnehmerzahl bei den Sessions, sieben Teilnehmer pro Abend, sind ideal. Geringe Schwankung der anwesenden Teilnehmerzahl bei den Sessions, hinreichendes Commitment und energetischer Einsatz sind wichtig.
Die DNA definiert eine "Mindest-Commitment-Anforderung": Erscheint ein Mitglied über einen Zeitraum von drei Monaten zu weniger als 50% der angebotenen Treffen, verliert es automatisch seinen festen Mitgliederstatus und wird zum "Gast". Das ist die wichtigste Zellwandfunktion.
Der Zugriff auf die Gruppe ist für dieses Mitglied damit erst mal verloren. Der Organisator hat aber die Option, es wieder als Gast einzuladen und dann – wenn das Commitment wieder stimmt – erneut zum festen Mitglied zu ernennen. Die meisten Encountergruppen scheitern an zu geringem Commitment ihrer Teilnehmer.
Die Verantwortung verteilt sich (Rotation der Moderation)
Eine wichtige Aufgabe des Organisators ist es, die Moderation der Abende in Rotation zu bringen.
Um den Einstieg für neue Moderatoren leicht zu machen, gibt es Moderationsleitfäden. Diese ermöglichen auch eine "Vorlesemoderation". Das heißt, auch Mitglieder mit wenig Erfahrung können durch das Vorlesen von Skripten den Prozess strukturieren und mitgestalten.
Die Regeln können von allen angepasst werden.
Die zwei Teile der DNA
Ab Beginn der Gruppenphase erhalten die Mitglieder das Recht, die DNA, also das Regelwerk, aktiv mitzugestalten. Diese DNA besteht aus zwei Teilen:
Der erste Teil: Die Verfassung, oder starre Regeln: Das sind die Kernprinzipien (z.B. "Wir begegnen uns mit Wohlwollen, Ehrlichkeit und Offenheit). Diese ist nur schwer änderbar. Eine Änderung der Verfassung braucht eine Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder der Gruppe und muss schriftlich/digital per Chat erfolgen. Zudem hat der Gründer/Organisator hier ein Vetorecht.
Der zweite Teil: Das Regelbuch, oder flexible Regeln: Das sind alle restlichen Regeln (z.B. "Wie organisieren wir uns, was Kosten angeht?", "Wie machen wir das mit dem Kochen und Essen?"). Diese können mit Einstimmigkeit der Anwesenden während jeder Encounter-Session geändert oder hinzugefügt werden. Das gibt hohe Flexibilität im Alltag. Für jede Regel, die hinzugefügt wird, sollte wenn möglich eine gelöscht werden, um die Komplexität nicht zu erhöhen. Sonst erstickt die Gruppe irgendwann an ihrer zu komplexen DNA.
Es gilt eine klare Hierarchie: Die Verfassung überstimmt immer das Gesetzbuch. Änderungen im Gesetzbuch, die der Verfassung widersprechen, sind ungültig und werden vom Gründer/Organisator gelöscht oder angepasst.
Wichtige Bedingung: Um diese Regelbuch-Regeln spontan zu ändern, muss mindestens die Hälfte aller Gruppenmitglieder anwesempfehlen, nichtend sein.
Die Rollen in der Gruppe
Innerhalb der Gruppe müssen verschiedene Rollen besetzt werden:
Der Organisator (am Anfang der Gründer): Kümmert sich um Gäste, gestaltet die Polarisierung der Gruppe und trifft Letztentscheidungen, was ihm viel Einfluss gibt.
- Der Host (Gastgeber): Stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung.
- Der Moderator: Steuert die Aufmerksamkeit der Gruppe und sorgt für einen strukturierten Gruppenprozess.
- Der Co-Moderator: Unterstützt den Moderator und kann übernehmen, falls dieser emotional zu stark involviert ist.
- Hauptorganisation für die "Encounter-Hütten"
Für fast alle diese Rollen gilt: Der Organisator (Gründer) trägt die "Backup-Verantwortung". Sollte die Gruppe es nicht schaffen, eine Rolle gut zu besetzen (z.B. es findet sich kein Host), fällt die Aufgabe an den Organisator zurück.
Encounter-Wochenenden
Ein zentrales Element sind die "Hütten" – intensive Wochenend-Session (Freitag- bis Sonntagabend). Sie sollen idealerweise alle sechs Monate zusätzlich zu den normalen Treffen stattfinden.
Um finanzielle Hürden wegzunehmen, wird die Bezahlung dieser Hütten bereits bei der Gruppengründung von allen Mitgliedern im Vorfeld abgesichert.
Das schafft eine wichtige Anreizsituation: Die Gruppe muss die Kosten auch dann tragen, wenn sie es organisatorisch nicht schafft, die Hütte stattfinden zu lassen. Der Fokus wird somit vom Geldsparen auf die Wertigkeit des Gruppenprozesses gelenkt.
Diese Hütten sind essentiell. Sie ermöglichen eine Tiefe der Begegnung, die an einem einzelnen Abend nicht erreichbar ist. Sie dienen der Selbstregulation der Gruppe. Längere Diskussionen über DNA-Veränderungen oder Abgleiche zu kritischen Regeln werden bewusst auf die Hütten verlagert.
Würde man das in den regulären Treffen tun, würde es den "Erlebniswert" der Encounter-Sessions zu stark drücken. Dieser Erlebniswert ist die energetische Basis der Gruppe; gerät er unter Druck, ist der gesamte Gruppenprozess gefährdet.
Wachstum, Veränderung und Polarisierung
Parallel zum Wachstum setzt unweigerlich ein Polarisierungsprozess ein. Mitglieder werden uneins über einzelne Regeln oder fühlen Spannungen mit einzelnen Mitgliedern anschwellen. Das ist ganz normal und erwartbar. Bei hoher innerer Reibung der Mitglieder kann eine zweite DNA geschaffen und ein zweiter Organisator gewählt werden. Die beiden DNAs heißen dann DNA A und DNA B.
Die Mitglieder können nach z.B. sechs Monaten nach der Gründung eine Neuwahl eines zweiten Organisators anstossen. Die Wahl findet digital und nicht-anonym per Chat statt.
Voraussetzung: Es muss sich ein alternativer Organisator als Konkurrent aufstellen lassen. Das ist nicht ganz leicht, denn diese Rolle ist mit der Übernahme aller Verantwortungsposten und Backup-Pflichten verbunden (Hosting, Moderation, Hütten, Kochen etc.). Es gilt das "Initiative-Prinzip": Initiative gestaltet.
Bei der Wahl hat jedes Mitglied (auch der Gründer) genau eine Stimme. Erhält der neue Kandidat die Mehrheit, hat die Gruppe zwei Organisatoren, zwei DNAs und wechselt in einen A B Rhythmus.
Die zweiwöchentlichen Treffen finden nun abwechselnd statt: einmal nach DNA "A" und einmal nach DNA "B". Es handelt sich formell noch um eine Gruppe, aber mit zwei Verantwortlichen und zwei DNAs, die langsam auseinanderdriften.
Der Übergang zur Teilung
Wenn die Spannung zwischen den beiden Organisatoren zu stark wird, kann die Gruppe abstimmen und bei einer Mehrheit in die "Teilungsphase" eintreten.
Dann wird es Spannend! Die Zellteilung ist ein anspruchsvoller Prozess. Die Frequenz der Session verdoppelt sich: Die Treffen finden nun wöchentlich statt (abwechselnd eine Woche A, eine Woche B). Dieser erhöhte Aufwand zwingt viele Mitglieder, sich tendenziell für eine der zukünftigen "Zellen" (Gruppen) zu entscheiden, denn sie können oft aus Zeitgründen nicht in beiden Gruppen bleiben.
In dieser Phase können die beiden Organisatoren beginnen, Mitglieder der jeweils anderen Teilgruppe von ihren Treffen auszuladen, um die innere Reibung und Dissens zu dämpfen.
Dieser Polarisierung Prozess läuft über einen absehbaren Zeitraum (z.B. drei Monate) und mündet schließlich mit der Zellteilung in zwei vollständig unabhängige Gruppen: mit zwei unterschiedlichen Organisatoren, zwei verschiedenen DNAs und zwei separaten Terminen.
Phase 3: Die Zellteilungsphase – Konsens durch Vielfalt
Die dritte Phase, die "Zellteilungsphase", ist der kritischste und dynamischste Übergang im Leben einer Gruppe. Sie ist der entscheidende Mechanismus, durch den die Gemeinschaftskultur ihre nachhaltige Lebendigkeit und Entfaltung absichert.
Dieser Prozess ersetzt traditionelle Einigungs- und Normierungs-Modelle zur Konsensfindung durch den energetisch effizienten Mechanismus der Zellteilung.
Der Auslöser und die Mechanik
Die Zellteilungsphase wird formal von einem der beiden Organisatoren eingeleitet, sobald die Gruppe ihren Rhythmus ändert: von zweiwöchentlich (abwechselnd A/B) zu wöchentlich.
Dieser Wechsel ist nicht nur eine Terminsache; er verändert die Prozessstruktur fundamental. Die beiden Organisatoren (A und B) können sich nun wechselseitig "aus ihrer Bubble ausladen". Sie beginnen, getrennte Räume zu definieren und die Mitglieder-Konstellation dieser Räume anzupassen. Lange ersehnte Regeländerungen, die lange nicht möglich waren, werden jetzt realisierbar. Für alle belastende Mitgliederkonstellation lösen sich auf.
Der wöchentliche Rhythmus folgt einem A-B-A-B-Muster. (Also z.B. A am 1. Mittwoch, B am 2., A am 3. und B am 4.).
Diese intensive wöchentliche Phase ist zeitlich begrenzt (z.B. auf drei Monate). Das ist wichtig, um zu verhindern, dass die Teilnehmer durch die hohe Frequenz überlastet werden.
Die Dynamik: Chaos, Reibung und Neufindung
Die Zellteilungsphase ist von Natur aus chaotisch und von hoher Reibung geprägt. Mit dem Start der wöchentlichen Treffen und der Aussicht auf die baldige Aufteilung in zwei Gruppen ändert sich die Zusammensetzung der Teilnehmer:
Hohe Gästedynamik: Es gibt einen viel höheren Zufluss von Gästen und eine schnellere Aufnahme von neuen Mitgliedern. Die Gruppen brauchen schlichtweg mehr Teilnehmer, um nach der Teilung zwei stabile, hinreichend große Gruppen formen zu können. Zu keine oder zu große Gruppen neigen zu Instabilität.
Geregelte, schrittweise Aufteilung: Parallel findet eine zunehmend schärfere Aufteilung der bestehenden Mitglieder auf die zwei Gruppen statt. Dies ist kein unglücklicher Nebeneffekt, sondern ein essentieller Konsensbildungsprozess.
Jede einzelne Ausschluss-Entscheidung wirkt wie ein Katalysator für die Polarisierung der verbleibenden Mitglieder. Die Teilnehmer wissen von vornherein: Am Ende dieser drei Monate wird es zwei separate Gruppen mit zwei unterschiedlichen DNAs (und Organisatoren) geben, und viele von ihnen werden den Zugang zu einer der beiden Gruppen verlieren, spätestens, wenn sie das 50% Commitment zu einer der beiden Gruppen nicht mehr schaffen.
Beide Organisatoren machen all ihre Mitglieder- und Regel-Entscheidungen zeitnah der Gesamtgruppe schriftlich transparent. Dies heizt die polarisierende Dynamik weiter an, da die Mitglieder auf Ausschluss-Entscheidungen stark emotional reagieren und sich dadurch weiter polarisieren.
Nur eine geringe Anzahl von Teilnehmern schafft es, in beiden Gruppen dauerhaft Mitglied zu bleiben. Denn das erfordert doppeltes Engagement, da sie die "Commitment-Regel" (z.B. 50% Anwesenheit) in beiden Gruppen erfüllen müssen. Für die meisten ist das energetisch und zeitlich nicht leistbar.
Konsens durch Zellbildung: Ein energetisches Paradigma
Der Kern der DNA-Kultur zeigt sich im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten (Dissens). Diese Phase der Reibung dient einem höheren Zweck: der Dissens-Schlichtung durch die Herstellung von Vielfalt.
Im Gegensatz zu demokratischen oder soziokratischen Modellen, die Einigungsprozesse innerhalb einer bestehenden Gruppe suchen, verfolgen wir einen anderen Ansatz. Konsens (Einigkeit) in lebendigen Stadtgemeinschaften entsteht primär durch Zellbildung und durch die Abbildung der Unterschiedlichkeit in vielen kleinen Teilgruppen mit eigener DNA und Selbstregulationshoheit.
Wenn Harmonie innerhalb einer Gruppe nicht mehr produktiv herstellbar ist, sei es wegen Regelkonflikten oder weil es zwischenmenschlich nicht mehr gut funktioniert, werden die Teilnehmer, die nicht gut miteinander klarkommen, auf verschiedene Räume (Gruppen) ausweichen.
Die Harmonie wird also nicht erzwungen, sondern wiederhergestellt, indem separate, in sich stimmige Teilgruppen entstehen.
Der energetische Vorteil
Um eine Gemeinschaftskultur in die "Selbstentfaltung" zu bringen, sind extrem günstige energetische Bedingungen nötig. Die DNA-Kultur nutzt in der Biologie wirkende energetische Grundgesetze:
- Organismen (Gruppen) müssen sich schneller teilen können, als sie zerfallen.
- Sie müssen mehr neue Teilnehmer aufnehmen, als sie zum reinen Selbsterhalt brauchen, um Wachstum und die Arterhaltung zu ermöglichen.
- Eine hohe Anzahl von Regelsets müssen permanent an eine sich dynamisch ändernde Umwelt angepasst werden.
- Erfolgreiche Regelsets müssen tendenziell erfolglosere verdrängen.
Das energetische Problem traditioneller Modelle (wie Demokratie oder Soziokratie) ist: Abstimmungs- und Konsensprozesse werden mit zunehmender Gruppengröße, zunehmender Intensität der Beziehungen exponentiell aufwändiger und energetisch kostenintensiver. Auf Dauer ist dieser hohe Konsensaufwand energetisch nicht tragfähig und hemmt die Entfaltung.
Die DNA-Kultur schafft die Voraussetzung für ganzheitliche Entfaltung, indem sie genau diese energetisch aufwändigen Konsensbildungsprozesse systematisch vermeidet. Anstatt ein einziges Regelset für große Gruppen anzustreben, setzen Vitalgemeinschaften auf multizelluläre Gruppen mit jeweils unabhängigen Regelsets. Diese auf Vielfalt abzielende Prozessstruktur ermöglicht eine drastisch erhöhte energetische Rentabilität, also einen deutlich höheren Erlebnis-, Entwicklungs- und Verbindungswert je aufgewendeter Energieeinheit.
Auch ermöglicht dies eine enorm wertvolle qualitative Nähe zwischen den Teilnehmern einer Gruppe. Mit 100 Menschen kann man nicht so nah sein wie mit zehn. Alle 100 haben mehr davon, wenn sie sich in jeweils Zehnergruppen organisieren und dort echten persönlichen Kontakt leben, anstatt sich in einen Kreis von hundert Menschen setzen und gemeinsam in persönlicher Distanz hart am Großgruppenkonsens zu arbeiten. Stimmigkeit der Mitgliederkonstellation, Regelstimmigkeit und ausreichender Einfluss auf die Regelgestaltung finden ein Optimum in kleinen Gruppen von etwa 10 Mitgliedern. Diese können sich auf einer Metaebene wieder zu 10 mal 10 Gruppen zusammenfinden und dort Synergien finden und gemeinsame Rituale etablieren. Das ist das Konzept der Vitalgemeinschaft.
Erlebnisorientierung und die zwei Wege der Teilnahme
Die DNA-Kultur ist fundamental erlebnisorientiert. Ein Gruppenprozess ist energetisch nur dann "lohnenswert", wenn die durchschnittlichen Aufwände für die Teilnehmer gering sind, während gleichzeitig durch die intensive Begegnung ein hoher, stabiler und erwartbarer Erlebniswert hergestellt wird. Dieser Erlebniswert ist zu Beginn der Gruppengründung neben dem Entwicklungswert die primäre Motivation zur Teilnahme. Später, in reifen Encountergruppen, übernimmt dann der Verbindungswert diese Hauptrolle.
In diesem Modell laufen Konsensbildungsprozesse subtil im Hintergrund ab und sind über den größten Teil des Lebenszyklus einer Gruppe wenig spürbar. Nur während der Zellteilungsphase ist diese Reibung für alle vordergründig spürbar. Diese macht zeitlich jedoch im Lebenszyklus einer Zelle nur einen Bruchteil aus. Das schafft viel Raum für das Wesentliche eines Gruppenprozesses: Erleben, Entwicklung und Verbindung.
Das "Versprechen" der DNA lautet
Du wirst in eine kleine Gruppe mit klaren Regeln und einer transparenten, dynamischen Mitgliederstruktur eingeladen. Und wenn du annimmst, entwickelst du die Widerstandskraft und Flexibilität, um dich immer wieder neuen Regel- und Mitgliederkonstellationen zu öffnen und erhältst dafür Freundschaft und Sicherheit in der Verbindung zu einigen lieben, wertvollen Menschen.
Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Pfade der Teilnahme:
Der Teilnehmer-Pfad: Für die meisten ist es energetisch am "rentabelsten" und einfachsten, als "normaler" Teilnehmer teilzunehmen. Du arrangierst dich mit der bestehenden DNA und den Mitgliedern und nimmst die Prozesse an, wie sie kommen.
Der Initiativ-Pfad: Intensive, tiefe Mitgestaltung ist ausschließlich über überdurchschnittliche Initiative und Verantwortungsübernahme möglich – also indem du dich als Organisator oder Gründer einer solchen Gruppe bewirbst und angenommen wirst.
Dieser Initiativ-Pfad ist für eine kleine Minderheit (geschätzt etwa 10% der Community) stimmig, um sich selbst zu verwirklichen. Sie sichern sich dadurch Einfluss auf personelle Entscheidungen (Nähe oder Distanz zu bestimmten Mitgliedern) oder auf Regeln, die ihnen besonders am Herzen liegen.
Die Rolle der Organisatoren: Begleitung statt Machtkampf
Diese initiativen 10% treffen also die wesentlichen personellen und Regelentscheidungen im intimen Austausch mit allen Mitgliedern. 99% der Grundregeln sind dabei bereits in der Vergangenheit von erfolgreichen DNA-Encountergruppen getroffen worden. Genau wie in der Biologie evoluieren Gruppen und bauen auf den Prozessstrukturen der Arten auf, von denen sie abstammen. Keine Art erfindet sich unabhängig einfach selbst. Erst durch die aufaddierte Erfahrung vieler Gruppen über lange Zeiträume entstehen vitale Prozessregeln, die sich in der Realität durch Lebendigkeit bewähren.
Die Hauptaufgabe der Organisatoren ist es, die energetischen Rahmenbedingungen zu sichern. Sie müssen den Gruppenprozess pflegen, ihn an sich ändernde Umweltbedingungen anpassen lassen, die Gruppe nähren und sicherstellen, dass die Gruppe lebendig und stabil bleibt, der Erlebnis- und Entwicklungswert hoch ist und Verbindungsvertiefung stattfindet.
Ihr entscheidendes Werkzeug ist das Mitgliedermanagement (Gäste einladen, Gäste zu Teilnehmern machen und während der Zellteilungsphase selektiv wieder ausladen), bei dem sie in gutem Kontakt mit den Bedürfnissen aller Mitglieder stehen und für die Gesamtgruppe gute Entscheidungen treffen.
In der DNA-Kultur sollen diese kritischen Entscheidungen mit einem Minimum an Reibung einhergehen. Die Reibung, die unweigerlich entsteht, entlädt sich fast ausschließlich über Polarisation und Zellteilung.
Das Ziel ist die konsequente Vermeidung von Machtkämpfen oder langwierigen, kräftezehrenden Gruppendiskussionen, die in anderen Systemen zu viel Energie vereinnahmen, um echte Lebendigkeit, sprich Vitalität zu erreichen.
Die Vorbedingungen
Wer startet die Gruppe? Ein Einzelner oder ein kleines Team?
Startet eine einzelne Person (ein Gründer) die Gruppe oder tut sich ein kleines Kollektiv (ein Gründerteam) zusammen? Beide Varianten haben Vor- und Nachteile.
Der Weg des Einzelgründers
Die ganze Verantwortung und alle Entscheidungen liegen bei einer einzigen Person. Es gibt keine langen Abstimmungen. Der Gründer kann Entscheidungen mit sich selbst ausmachen und sie sofort umsetzen.
Dieses Fehlen von interner Absprache macht die Gruppe extrem schnell und wendig ("agil"). Es wird keine Energie oder Zeit durch Verhandlungen, die in einem Team ganz natürlich entstehen, verloren. Aber es lastet sehr viel Verantwortung auf einer Person und wenn der Gründer einmal ausfällt, ist die Gruppe eventuell nicht mehr handlungsfähig und wird instabil.
Der Weg des Gründerteams
Das ist komplizierter. Ein Gründerteam muss sich vom ersten Moment an abstimmen.
Damit das Team handeln kann und sich nicht in inneren Reibereien blockiert, braucht es spezielle Rahmenbedingungen. Es braucht eine eigene, besondere "Team-DNA". Diese Regeln für das Gründerteam sind ganz anders als die Regeln (die "DNA"), die später für die große Gruppe gelten. Die Team-DNA muss vor allem auf Geschwindigkeit, Flexibilität und Handlungsfähigkeit im kleinen Kreis ausgerichtet sein.
Was braucht ein solches Gründerteam?
- Tiefes, grundlegendes Vertrauen: Alle Absprachen müssen auf dieser Vertrauensbasis stehen.
- Ein klares, gemeinsames Ziel: der Dienst an der Gruppe. Das Team braucht eine hohe "Gleichsinnigkeit". Ein enges, klares, gemeinsames Ziel, das alle verbindet und als unbestrittener Nordstern dient. Das Gründerteam muss die Interessen der Gesamtgruppe über alles stellen und dabei durchgängig mit einer Stimme sprechen.
- Anspruchsvolle Kommunikation: Um dieses Vertrauen im Alltag zu leben, muss das Gründerteam sehr gut kommunizieren. Die Kanäle (Chat, Telefon) müssen flexibel sein und schnelle Antworten erlauben. Das Team muss bereit sein, einander zeitnah zuzuhören und zu reagieren. Im Idealfall sollten spontane Team-Telefonate zeitnah möglich sein, um Wichtiges schnell zu klären. Das Ziel ist: Bei wichtigen Entscheidungen müssen alle im Team "mitgenommen" werden und genau wissen, was geplant ist. Ohne diese zeitnahe Kommunikationsbereitschaft, sollte so ein Gründerteam gar nicht erst gegründet werden.
Der Spagat: Freiheit und Verantwortung im Gründerteam
Die vielleicht größte Herausforderung ist es, dieses Paradox in den Team-Regeln zu leben, das Gleichgewicht zwischen "Wir müssen mit einer Stimme sprechen" und "Jeder darf und soll spontan Verantwortung übernehmen".
In der Team-DNA sollte stehen: Jedes Mitglied hat grundsätzlich die Erlaubnis, "unilateral" – also ganz alleine – zu handeln und Entscheidungen zu treffen.
Gleichzeitig muss in der DNA die Haltung verankert sein: Die anderen Mitglieder unterstützen diese Einzelaktionen, weil sie auf das gemeinsame Ziel einzahlen. Das funktioniert nur, wenn das Vertrauen so stark ist, dass jeder sicher sein kann: "Auch wenn mein Kollege das allein entscheidet, tut er es im besten Interesse des ganzen Teams."
Klare Regeln für das Scheitern des Teams
Genauso wichtig wie die Regeln für die Zusammenarbeit sind die Regeln für die Auflösung des Gründerteams. Die Team-DNA muss einen klaren "Bruch-Punkt" (Breakpoint) definieren, um die Gesamtgruppe zu schützen, um die es ja primär geht.
In dem Moment, in dem es klare Interessenunterschiede im Gründerteam gibt oder eine Einzelaktion von den anderen nicht mehr mitgetragen werden kann, ist das Team automatisch an seinem Ende und der Breakpoint DNA Teil greift. Die Existenzberechtigung des Teams war, "mit einer Stimme zu sprechen". Sobald das nicht mehr gelingt, zerbricht das Team – und zwar nach Regeln, die vorher klar in der Gründerteam DNA festgelegt wurden. (Bei einem Zweier-Team ist das eine einfache Trennung. Oberste Priorität hat immer die Prozesssicherung der Gesamtgruppe. Für dieses Ziel müssen bei Dissens im Gründerteam spontan Teammitglieder ausscheiden und zu “normalen” Gruppenmitgliedern werden. Machtkämpfe im Gründerteam zerstören die Gesamtgruppe und werden von der Team-DNA systematisch ausgeschlossen und in Polarisierungsdynamik abgeleitet.
Wir raten ab, mehr als drei Personen ins Gründerteam zu nehmen. Die Absprachen werden mit jedem weiteren Teammitglied exponentiell komplizierter und die nötige Flexibilität geht verloren.
Warum überhaupt ein Team?
Wenn das so kompliziert ist, warum sollte man es tun? Die Antwort ist: Ein Team hat eine signifikant höhere "Schlagkraft" und ist ausfallsicherer.
Ein Beispiel: Ein Team aus drei Personen kann drei verschiedene "Wohnzimmer" oder Räume als Backup-Treffpunkte anbieten. Fällt eine Person aus (z.B. durch Krankheit), sind immer noch zwei da. Selbst wenn zwei verhindert sind, kann die dritte Person die Verantwortung tragen. Diese Ausfallsicherheit und Verlässlichkeit ist bei einem Team ungleich höher als bei einer Einzelperson. Zudem hat jedes Teammitglied ein ganz eigenes Set an Fertigkeiten, die sich gegenseitig ergänzen können. Von einem harmonischen Team geleitete Gruppen können deutlich lebendiger werden.
Die Abwägung
Letztlich muss man das sorgfältig abwägen. Ein Team hat mehr Power und ist ausfallsicherer. Dem steht aber ein höherer Verwaltungsaufwand und höhere Komplexität durch die Abstimmung des Gründerteams gegenüber, was seine eigenen Stabilitätsrisiken mit sich bringt. Ein einzelner Gruppengründer ist flexibel, hat aber ein hohes Risiko bei Ausfällen durch Krankheit oder Überlastung.